Das Kreuz mit der (FinTech-)Regulierung
Gleiche Regeln für alle: Anders als in anderen europäischen Ländern erwartet FinTechs in Deutschland kein Welpenschutz. Ein entscheidender Standortnachteil?
Die Regulierung des Finanzsektors ist in Europa heterogen, die politischen und gesetzgeberischen Ansätze sehr unterschiedlich. Diese Erkenntnis ist nicht neu, die Diskussion nimmt im Zuge des #FinTech-Booms aber wieder an Fahrt auf. Der Grund ist einfach: Die Regulierung ist für Start-ups ein Standortfaktor. Ihre Innovationen entstehen durch Ausprobieren. Eine ausufernde Regulierung macht diesen Prozess teuer sowie langwierig und damit nicht selten unmöglich. Auf der anderen Seite steht der Schutz der Verbraucher.
Ein Spannungsfeld, das innerhalb Europas völlig unterschiedlich angegangen wird. Gerade in Deutschland wird der BaFin gerne ein zu restriktives Vorgehen vorgeworfen. Aber hängt es wirklich in erster Linie von den Aufsichtsbehörden ab, ob ein FinTech durchstarten kann oder ist das nicht zu kurz gegriffen? Aufschluss soll ein Abriss der aktuellen regulatorischen Entwicklungen in Europa und den USA geben:
Die Europäische Kommission
Werfen wir zuerst einen Blick auf die Aktivitäten der Europäischen Kommission: Sie hat Ende 2015 ein Grünbuch über Finanzdienstleistungen für Privatkunden mit dem Titel „Bessere Produkte, größere Auswahl und mehr Möglichkeiten für Verbraucher und Unternehmen“ veröffentlicht. Inhaltlich beleuchtet es die Schaffung eines „echten europäischen Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen im Bereich Banken und Versicherungen“.
Im Kern geht es darum, die grenzüberschreitende Erbringung von Finanzdienstleistungen zu erleichtern. Bisher ist die Internationalisierung für FinTechs ein komplexes Unterfangen: Unterschiedliche regulatorische Anforderungen sorgen z.B. dafür, dass in einem Land eine Lizenz benötigt wird, in einem anderen jedoch nicht. Auch das Passporting greift nicht bei allen Produkten und Dienstleistungen, ganz zu schweigen von stark abweichenden Identifizierungs- und Authentifizierungsbedingungen. Wie genau dies gelingen soll, ist bisher offen. Die Europäische Kommission hat angekündigt, im Sommer 2016 einen Aktionsplan zu veröffentlichen.
Liberale Ansätze in Grossbritannien
In Großbritannien haben wichtige Politiker klar positiv Stellung zu Innovationen im Finanzsektor bezogen. Und auch die Finanzaufsichtsbehörde zieht mit: Die Financial Conduct Authority (FCA) führte z.B. eine Initiative ein, die darauf ausgelegt ist, Unternehmen bei der Einführung von Neuerungen und Innovationen zu helfen. Sie können neue Produkte am Markt testen – und zwar in einer Art „Sandbox“ und ohne die Standard-Vorschriften einzuhalten. Für Start-ups aus ganz Europa eine attraktive Option.
Kein Wunder, dass aktuell ein Grossteil der europäischen FinTech-Investments in Richtung London fließt. Allerdings steht man nun vor den Scherben des Brexits: Erste FinTechs und Banken schauen sich nach einer neuen Heimat in Europa um. Sowohl Frankfurt als auch Berlin werden hier gute Chancen eingeräumt. Wie die Entwicklung tatsächlich aussieht, lässt sich aktuell jedoch kaum voraussagen – eine erste vorsichtige Prognose wird man hier erst in den nächsten Monaten stellen können.
Zarte FinTech-Öffnung in Deutschland
Je nach Ausgestaltung des Geschäftsmodells fallen FinTechs in Deutschland unter die Aufsicht der BaFin oder unterliegen dem Reglungsbereich der Gewerbeverordnung. Anders als in Grossbritannien steht ihnen keine regulatorische Sandkiste zur Verfügung. Es gilt: Gleiche Finanzdienstleistungen und gleiche Risiken unterfallen der gleichen Aufsicht und Regulierung. So verwundert es kaum, dass die BaFin trotz einer zunehmenden Dialogbereitschaft (gerade erst fand mit der BaFin-Tech eine Konferenz für und rund um FinTechs statt) immer wieder in der Kritik steht. Man wirft ihr feindseliges Verhalten gegenüber Gründern vor.
Während die BaFin mit Sorgfalt argumentiert, beklagt die Gegenseite zu hohe bürokratische Hürden für Jungunternehmer. Der jüngste Stein des Anstosses sind verschärfte Verfahrensregeln für die Videoidentifizierung. Allerdings stehen die Zeichen hier schon wieder auf Entspannung: Während die Neuerungen zunächst ohne Übergangsfrist gelten sollten, wurde die Richtlinie nun bis Ende des Jahres außer Kraft gesetzt. Hintergrund ist, dass zu diesem Zeitpunkt eine Europäische Geldwäscherichtlinie in Kraft treten soll, die ebenfalls Veränderungen mit sich bringen wird.
Im Zuge der Diskussion verweist die BaFin gerne darauf, dass regulatorische Freiräume zu schaffen nicht ihre Aufgabe sei, sondern die des Gesetzgebers. Und der agiert bisher nur sehr zaghaft. Insgesamt muss man konstatieren, dass Politik und Aufsicht derzeit um einen sinnvollen Weg ringen. Die Diskrepanz zwischen dem, was man will und dem, was nach derzeitigem Recht geboten ist, ist gross. Und leider geht auch die Umsetzung von entsprechenden EU-Verordnungen in nationales Recht eher schleppend voran.
Die Schweiz nimmt Schwung auf
Zunächst eher zögerlich, aber mit zunehmend grossen Schritten öffnet sich die Schweiz dem Thema FinTech und lockert die Regulierung. So ermöglicht die Finanzmarktaufsicht FINMA seit Kurzem eine Video- und Online-Identifizierung. Daneben sollen weitere Regulierungshürden abgebaut werden. Zusätzlich befürwortet die FINMA ein bewilligungsfreies Entwicklungsfeld – also die aus Grossbritannien bekannte Sandbox – sowie eine neue Bewilligungskategorie für Finanzinnovatoren.
Im Fokus stehen hier Geschäftsmodelle, die kein bankentypisches Geschäft darstellen, aber gewisse Elemente der Bankentätigkeit beinhalten: Mit dieser Bewilligung könnten die Markteintrittshürden für Anbieter von Zahlungssystemen, digitale Vermögensverwalter und Crowd-Plattformen gesenkt werden.
Auch in den USA werden FinTechs reguliert
Die USA sind der Dreh- und Angelpunkt des FinTech-Booms. 2015 flossen rund 7,6 Milliarden Dollar in FinTechs aus den USA – zum Vergleich: für Europa lag dieser Wert bei 1,1 Milliarden Dollar und im asiatischen Raum bei 4,5 Milliarden Dollar. Gerade erst wurde in den USA ein neuer Aktienindex aus der Taufe gehoben. Die Investmentbank KBW und der Börsenbetreiber Nasdaq enthüllten den KBW Nasdaq Financial #Technology Index (KFTX). Es ist der erste große Index, der ausschließlich die in den USA kotierten FinTech-Unternehmen erfasst. Die USA ist also keinesfalls knapp an Investitionen und Innovationen – aber wie sieht es mit dem Regulierungssystem aus?
Die Situation in den USA ist nicht mit der europäischen Aufsichtsrechtwelt vergleichbar. Es existiert keine übergreifende Behörde, sondern das Aufsichtsrecht ist auf mehrere Behörden verteilt, die manchmal mit-, teilweise gegeneinander arbeiten. Außerdem greifen teilweise strenge Bundesgesetze, so z.B. in den Bereichen Kredite und Inkasso. Insgesamt spiegelt sich deutlich das historische Prinzip der „Checks and Balances“ wider, welches das gesamte politische System der USA prägt. Insgesamt würde ich die Regelsetzung als wenig liberal bezeichnen – teilweise verfolgt Europa inzwischen einen progressiveren Ansatz.
Die Regulierung ist nur ein Faktor
Insgesamt ist europaweit eine Öffnung gegenüber der FinTech-Szene zu beobachten, wenn teilweise auch zaghaft und in kleinen Schritten. Unbestritten ist die Regulierung ein Standortfaktor – aber eben nicht der alleinige. Ob sich eine aktive FinTech-Szene etabliert, hängt von einem Mix aus mehreren Komponenten ab. Nicht zuletzt muss man Mentalitätsunterschiede in die Betrachtung einbeziehen: sowohl beim Thema Gründergeist als auch auf Kundenseite. Gerade in Deutschland sind die Sicherheitsbedenken gegenüber neuen Technologien deutlich höher als jenseits des Atlantiks. Und manchmal scheitert es gar an kleinen Details wie der fehlenden Verbreitung bzw. Nutzung von Kreditkarten.
Im deutschen Fall sehe ich vor allem seitens der Politik Nachholbedarf: Trotz Digitaler Agenda stehen wir immer noch vor dem Problem einer unzureichenden Förderung von Wagniskapital – um nur einen Punkt zu nennen. Seitens der Aufsichtsbehörden ist es zentral, die gerade begonnene Kommunikation weiterzuführen und auszubauen. Dass eine erfolgreiche Zusammenarbeit möglich ist, zeigen die jüngst erteilten Banklizenzen für die solarisBank und N26.
Dieser Artikel erschien zuerst im Finance IT Blog
Featured image: Pressmaster via Shutterstock
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